Dies wird ein Artikel, den ich laaaaange aufgeschoben habe, dessen Thema mir aber sehr am Herzen liegt.
Ersteres, weil’s kein einfaches Thema ist; in vielerlei Hinsicht.
Letzteres, weil es der zur Verortung meines Selbst im Universum so wichtig ist. Entsprechend lange hat es gedauert, bis ich dorthin gelangte. Ueberhaupt ist dieses Thema das Einzige, bei dem ich das Gefuehl habe, nicht mehr auf der Suche nach einer noch besseren Antwort zu sein.
Deswegen hier nun mein Geburtstagsgeschenk an mich; ein langer Artikel, dessen Thema mir am Herzen liegt :) .
Los geht’s :)
Die meisten Atheisten sind mir in ihrem „Atheist sein“ so suspekt wie Theisten.
Wenn ich „Theisten“ sage, so meine ich eigentlich Christen. Dies nicht aus Ignoranz, denn wer mich kennt wird wissen, dass ich alle Religionen fuer Humbug halte, sondern weil mir Christen und Symbole und Meinungen des Christentums einfach am allerhaeufigsten begegnen. Und da wir ja (leider?) in einer christlichen Gesellschaft aufgewachsen sind und leben, bestimmt dieses Christentum auf vielerlei Art unser Leben.
Deswegen schreibe ich im weiteren „Christen“ oder „Christentum“, meine aber eigentlich Theisten und Religionen aller Art.
Bevor ich mit dem im vorherigen Abschnitt Angefangenen weitermachen kann, møchte ich zunaechst unterscheiden zwischen Glauben und Religion.
Wir alle _glauben_ an etwas. Sei es, dass die Demokratie im Grunde funktioniert, dass die Welt aus Atomen besteht (frage an die Schlaumeier unter meinen Lesern: was sind Atome?), dass wir morgen wieder aufwachen usw. usf. Dies alles glauben (!) wir; trotzdem wir die politische und gesellschaftliche Misere in den westlichen Demokratien hautnah erleben, trotzdem die Wenigsten meiner Leserinnen und Leser eigenhaendig Experimente durchgefuehrt haben, die das Atommodell bestaetigen und trotzdem die Møglichkeit besteht, dass in unseren Heimen in der Nacht ein Feuer ausbricht und wir am Rauch ersticken.
Glauben ist wichtig! Glauben ist etwas ganz persønliches und Glauben kann einem anderen Menschen oft genug nicht begreiflich gemacht werden. Aber ohne Glauben kommt der Mensch als Individuum und die Menschheit als Ganzes nicht vorwaerts. Und sei es der Glaube, dass auch am naechsten Tag alles wieder gut ist :)
Religion hingegen ist das Bøse! Religionen dienen dem Machterhalt und der Unterdrueckung aller jener, die anders sind. Und sei es auch „nur“ dass die Andersdenkenden nicht mit ins Paradies duerfen.
Religion ist ein Phaenomen der Massen und nicht møglich ohne Glauben.
Dies im Unterschied zum persønlichen Glauben, der sehr wohl ohne Religion møglich ist.
Seitdem ich dies vor ein paar Jahren realisierte (dass auch ich an Dinge glaube), bin ich dem persønlichen Glauben anderer Menschen viel friedfertiger gegenueber eingestellt.
Dies gilt nicht fuer Religionen! Und ich møchte es hier nochmals wiederholen: Religionen sind bøse und wir sollten allen Religionen entschieden entgegentreten! … … … Eine Sisyphosarbeit … im doppelten Sinne … hihi.
Dies aber nur als kurzer (wenn auch wichtiger) Exkurs.
Nun dazu, warum mir Atheisten im Grunde genauso suspekt sind wie Theisten.
Dazu muessen erstmal ein paar Begriffe geklaert werden.
Was ist eigentlich Theismus? Wikipedia meint dazu:
Theismus […] bezeichnet den Glauben an Götter […]
Und was ist „Glaube„?
[…] beinhaltet „Glaube“ das Überzeugtsein von […]
Und hier schlieszt sich der Zirkel zum obigen Exkurs und zu den Atheisten. Denn Atheismus bezeichnet …
[…] die Überzeugung, dass es keinen Gott und keinerlei Götter gibt.
Ueberzeugung also auf beiden Seiten. Deswegen schauen wir uns das mit der Ueberzeugung mal etwas genauer an.
Überzeugung ist eine […] durch Erfahrung gewonnene Meinung.
Im Zugrundeliegenden sind sich also Atheisten und Christen gar nicht mal so fern. Nur die Manifestierung ihrer Ueberzeugung ist unterschiedlich.
Warum sind mir nun Atheisten suspekt? Das steht im Grunde schon in dem Zitat zum Atheismus. Sie behaupten zu wissen, dass es keinen Gott gibt.
Ooopsie. Noch so ein Wort … Gott. Atheisten fragen gar nicht danach, was ist Gott? Wer ist Gott? Warum ist Gott? Wie ist Gott?
Uebertrieben gesagt, nehmen sich Atheisten, so wie Christen, die Schriften einer Religion und sagen: Gott gibt es nicht!
HA! Da war es!
Atheisten die mir NICHT suspekt sind (bspw. Richard Dawkins) sind solche, die sagen: „Ich glaube nicht an den in diesen Schriften beschriebenen „Gott“, denn den kann es aus diesen und jenen Gruenden nicht geben“.
Der Unterschied ist, dass diese Art von Atheisten zeigen, dass es etwas Konkretes nicht geben kann. Denn aus besagten Schriften folgen einige der Antworten der obigen Fragen fuer diese eine Religion. Und in den meisten Faellen kann gezeigt werden, dass dies den Naturgesetzen des Universums widerspricht.
Die meisten anderen Atheisten aber sagen einfach: „Gott gibt es nicht“. Ohne jemals einen Gottesbeweis gefuehrt zu haben. Und ohne zu bedenken, dass man die Nichtexistenz einer Sache nicht beweisen kann.
Wuerden sich Atheisten immer auf bestimmte „Gøtter mit konkreten Eigenschaften“ beschraenken, so waeren sie mir nicht suspekt.
Oder anders gesagt … und hierin liegt das Suspekte … Atheisten gehen davon aus, dass es einen Gott geben kønnte, verneinen diese Annahme aber, aufgrund der von ihnen gemachten Erfahrungen. Wuerde ich allerdings mit einem Wesen kommen, welches alle Eigenschaften des bspw. biblischen Gottes haette, so muessten auch Atheisten die Existenz dieses Gottes als Gott anerkennen!
Was bedeutet dies nun alles fuer mich?
Fuer mich bedeutete dies zunaechst, dass ich lange Jahre dachte ich waere Atheist. Damit fuehlte ich mich aber nicht so richtig wohl. Konnte dieses Gefuehl aber nicht konkretisieren. Also machte ich einen Selbstversuch und gab dem Christentum eine Chance. Gibt es doch vielen Menschen (nicht nur) innere Staerke. Da dachte ich, dass ja møglicherweise was dran ist.
Aber so richtig wollte sich kein „gutes Gefuehl“ bei mir einstellen. Genaugenommen fuehlte sich der Wahrheitsgehalt des „Christentums“ noch viel unmøglicher an. Deswegen brach ich das Experiment nach wenigen Wochen ab. Mit dem Resultat: DAS ist es nicht!
Ein paar Jahre spaeter beschaeftigte ich mich mal mit dem Agnostizismus etwas naeher. Der Begriff war mir von frueher schon bekannt, aber innerhalb meines Wald-und-Wiesen-Wissens kamen mir Agnostiker eher so’n bisschen wie Feiglinge vor: „naja, eigentlich glaub ich nicht dran, aber zur Sicherheit raeume ich die Existenz lieber ein; man kann ja nie wissen“. Bis ich dann hierauf stiesz:
Agnostizismus […] ist die philosophische Ansicht, dass Annahmen […] welche die Existenz oder Nichtexistenz einer höheren Instanz, […] betreffen – entweder ungeklärt oder grundsätzlich nicht klärbar sind.
Aha?
Hier ist bereits die Unterscheidung zwischen dem sog. starken und schwachem Agnostizismus zu sehen.
Schwacher Agnostizismus (auch „weicher“, „offener“, „empirischer“ oder „temporaler Agnostizismus“)
Die Ansicht, dass die Existenz oder Nichtexistenz von Göttern für einen selbst bzw. zur gegenwärtigen Zeit unbekannt ist.
Das war sozusagen die Sache mit den „Feiglingen“. Hingegen …
Starker Agnostizismus (auch „harter“, „geschlossener“, „strenger“ oder „permanenter Agnostizismus“)
Die Ansicht, dass die Existenz oder Nichtexistenz von Göttern prinzipiell unerkennbar ist, für alle Menschen und für alle Zeiten.
hørte sich plaubsibel an. Auch wenn ich zunaechst nicht wusste warum.
Diesem Gefuehl der Plausibilitaet folgend, forschte ich weiter nach und stiesz alsbald auf die Grundlagen des Ignostizismus
Ignosticism […] is the idea that every theological position assumes too much about the concept of God […]
Und so fragte ich mich: „Was ist eigentlich der kleinste gemeinsame Nenner, wenn es um Gøttinnen und Gøtter geht?“
Und zunaechst dachte ich: „Ein Wesen, welches den Kosmos geschaffen hat“. Dies verwarf ich aber sogleich wieder, denn so glauben ja Menschen auch an niedere Gøtter, welche nicht den Kosmos erschaffen haben.
Als naechstes kam ich auf die folgende Idee: „ein uebernatuerliches Wesen“; im allgemeinsten Sinne.
Und dies schien und scheint mir eine plausible Antwort auf die Frage, was denn ein Gott ueberhaupt ist.
Und eben lese ich dies sogar in der wikipedia:
Ein Gott […] ist […] ein übernatürliches Wesen.
Da kam mir natuerlich sofort die Frage in den Sinn: „Was bedeutet eigentlich ‚uebernatuerlich‘?“.
Und was bei Wikipedia steht mag zwar von Kant damals gut durchdacht worden sein …
[…] nicht Teil der sinnlich wahrnehmbaren Welt der Dinge […]
… geht mir aber nicht weit genug. Sinnlich wahrnehmbar sind Atome naemlich auch nicht. Deswegen wuerde ich die Existenz von Dingen, welche extrem gut mit dem Atommodell erklaerbar sind, nicht als uebernatuerlich hinstellen. Darunter wuerden naemlich alle Dinge fallen, die zwar Teil der Natur sind, fuer die wir aber noch keine Erklaerung haben. Seien es die vorhergesagten und beobachteten Neutrinooszillation, oder alles, was in Clarkes drittem Gesetz zum Ausdruck kommt:
Any sufficiently advanced technology is indistinguishable from magic.
Weiteres drueber gruebeln brachte mich auf die Idee, dass ueber-natuerlich ja eigentlich NICHT-natuerlich bedeutet.
NICHT-natuerlichkeit wiederum bedeutet, dass etwas nicht in der Natur vorkommt.
Natur meint in diesem Zusammenhang nicht Wald und Wiese sondern das gesamte Universum.
Nun ist es aber so, dass es in unserem Universum nichts geben kann, was nicht Teil des Universums ist! Abgesehen von der Semantik dieses Satzes meine ich damit, dass es zwar fuer uns bisher unerklaerliche Phaenomene gibt, dass aber ALLES, ausnahmslos den physikalischen Gesetzen dieses Universums unterliegt. Wir haben diese Gesetze in vielen Faellen nur noch nicht entdeckt.
„Natuerlichkeit“ sehe ich also als etwas an, was den Gesetzen dieses Universums unterliegt.
„Uebernatuerlich“ ist somit alles, was NICHT den Gesetzen dieses Universums unterliegt.
Und hierin liegt der Hund begraben!
Wenn in diesem Universum etwas geschehen soll, so muessen Wechselwirkungen mit den Gegebenheiten (Materie, Raum, Strahlung, Energie, dem Tisch, der Uhr, den Synapsen meines Gehirns, dem Wasserstoff in der Sonne etc. pp.) dieses Universums stattfinden.
Wechselwirkungen mit den Gegebenheiten dieses Universums laufen aber nach den Gesetzen unseres Universums ab!
Oder anders, bildlicher geschrieben.
Nehmen wir eine Gøttin an. Wir (d.h. unser Universum) ist in einer Petrischale auf dem Labortisch dieses Wesens. Also die klassische „Erschafferin des Universums“. Diese Gøttin nutzt nun Y-Strahlen um mit der Materie in unserem Universum zu wechselwirken. Daraufhin haben wir Einwohner dieses Universums gute Ideen.
Der Gag ist nun: Damit diese Y-Strahlung mit unseren Synapsen wechselwirken kann, so muessen sie sich nach den Gesetzen unseres Universums verhalten. Ansonsten kønnten sie ja nicht mit uns wechselwirken. Die Y-Strahlen sind also mitnichten uebernatuerlich, sondern ganz und gar natuerlich.
Die Y-Strahlen kommen aber aus dem Labor der Gøttin. Somit muessen sie sich auch nach den dort herrschenden Gesetzen verhalten. Sie sind also auch dort natuerlich.
Nun kann sich aber ein und dieselbe Sachen aber nicht nach zwei verschiedenen Gesetzen verhalten. Somit kann geschlossen werden, dass das Labor der Gøttin die gleichen Naturgesetze hat, wie unser Universum. Oder vielmehr anders herum, unser Universum in der Petrischale hat die selben Gesetze wie der Kosmos der Gøttin. Denn unser Universum waere sozusagen nur eine „Zelle“ im „Wirtsuniversum“. Abgetrennt durch eine Art „Membran“, aber mit den gleichen Gesetzen innerhalb der Membran, wie auszerhalb. Also eigentlich gar kein „neues“ Universum, sondern ein und dasselbe.
Um dies etwas weiter Auszufuehren, sei das Folgende gesagt. Waehrend die Erschaffung eines Kosmos prinzipiell vorstellbar ist, so ist dieser neue Kosmos dennoch ein Teil des alten Kosmos. Die Schøpferin ist dann zwar die Erschafferin des Universums, aber kein uebernatuerliches Wesen – kein Gott. Sie hat nur weiter entwickelte Technologie als wir.
Sollte der neue Kosmos aber wahrlich NICHT den Gesetzen des Kosmos unterliegen, in welchem die Schøpferin sich bewegt, so waere der neue Kosmos kein Teil des Schøpferinnenuniversums mehr! Der neue Kosmos waere also uebernatuerlich.
Im Uebrigen waere der neue Kosmos natuerlich auch nicht beobachtbar. Es findet ja keine Wechselwirkung statt. Der neue Kosmos wuerde also sozusagen „heraus“ fallen aus dem Schopferinnenkosmos.
Alles etwas verwirrend, nicht wahr.
Der Punkt dieses vielen Geschriebenen ist nun der Folgende.
Die Existenz eines uebernatuerlichen Wesens (welches mglw. unseren Kosmos geschaffen hat), kann nicht ausgeschlossen werden. Und zwar aus der Sache heraus, weil es nicht Teil unseres Universums ist und wir somit weder etwas ueber dessen Existenz oder Nichtexistenz in Erfahrung bringen kønnten. Kønnten wir das naemlich, waere es kein uebernatuerliches Wesen.
Was hingegen ausgeschlossen werden kann, ist die Existenz des Gottes der Bibel. Aber darauf muss ich hier nicht naeher eingehen … denke ich.
Zusammengefasst kann ich also abschlieszend schreiben:
Ich bin ein, vom Ignostizismus beeinflusster, starker Agnostiker und in allen praktischen bzw. real in diesem Universum auftretenden Belangen ein Atheist.
Und dafuer braucht man schonmal ein paar Jahre, um dahinter zu kommen