Neulich stolperte ich ueber einen Artikel von Sisodiya, S. M. et al. im Journal of Medical Genetics, 44(6), 2007, p. 373–380 mit dem „Titel Genetic enhancement of cognition in a kindred with cone–rod dystrophy due to RIMS1 mutation„.
Dabei untersuchten die Autoren eine Familie in der einige der Mitglieder aus genetischen (und vererbbaren!) Gruenden ca. Mitte 20 blind werden. Das ist natuerlich schlecht fuer die Leute, aber das ist ein super Kandidat fuer Untersuchungen, in der Mendelsche Randomisierung benutzt wird.
Das krasse weswegen der Beitrag diesen Titel hat ist nicht, dass die blind werden, sondern dass die Blinden im Durchschnitt ca. 20 IQ-Punkte schlauer waren, als ihre nicht-blinden Geschwister (und naeheren Verwandten). 20 IQ-Punkte Unterschied in die positive Richtung sind urst krass und nicht mal das Entfernen von Blei aus der Umwelt oder der Einsatz von Jodsalz kommt da ran (zumal letztere auch auf den Durchschnitts-IQ ganzer Populationen wirken und nicht direkt mit individuellen IQs in Verbindung gebracht werden kønnen). Aber weil das NUR die Blinden betrifft wird das noch krasser, denn obwohl …
[a] A genetic contribution to variation in human intelligence is well established […]
… ist es doch so, dass …
[…] the identities of the genes responsible remain elusive.
Oder anders:
[…] no definite genetic causes of enhanced cognition are established […].
Auf all das ging ich insb. in den Nachtraegen zur Intelligenzquotientreihe bereits ein. Ich schreibe hier aber schon wieder darueber, denn genau das Gegenteil dessen was im letzten Zitat „bemaengelt“ wird scheint bei dieser Familie der Fall zu sein und das entsprechende Gen ist wohl RIMS1. Krass wa! … … …
… … … Oder auch nicht, denn kurz nach dem ich obigen Artikel gelesen hatte, stolperte ich ueber „Dominant Cone Rod Dystrophy, Previously Assigned to a Missense Variant in RIMS1, Is Fully Explained by Co-Inheritance of a Dominant Allele of PROM1“ von Martin-Gutierrez, M. P. et al. in Investigative Ophthalmology & Visual Science, 63 (9), article 14, 2022.
Die Autoren benutzen bessere Techniken und (viel) groeszere Datensets (es ist urst krass viel passiert in den 15 Jahren zwischen den beiden Artikeln).
Das Resultat (in kurz): RIMS1 ist nicht fuer die Blindheit verantwortlich.
Das Resultat (in etwas laenger aber immer noch all zu verkuerzend und alle statistischen Argumente weglassend): es gibt ein weiteres Familienmitglied OHNE die RIMS1-Mutation, welches aber mittlerweile auch blind geworden ist. Leider (#1) stand dises nicht fuer weitere genetischen Untersuchungen zur Verfuegung, aber alle ANDEREN Blinden Familienmitglieder sind Traeger einer PROM1-Mutation, die viel deutlicher mit Blindheit assoziiert ist, als RIMS1. Leider (#2) geht es Martin-Gutierrez, M. P. et al. nicht im Geringsten um kognitive Faehigkeiten. Leider (#3) wurde mit dem (jetzt auch blinden) Familienmitgleid ohne RIMS1-Mutation damals kein IQ-Test durchgefuehrt … die krasse Sache die ich oben schrieb bleibt also mindestens halboffen.
Ich schreibe „halboffen“, denn im ersten Artikel scheint ja dennoch alles auf genetische Ursachen der erhøhten Intelligenz (und Blindheit) hinzudeuten. Die nicht-blinden Familienmitglieder sind naemlich normal intelligent … es ist halt nur mglw. nicht RIMS1 … und hier stoppe ich mich selbst, denn ich habe davon ueberhaupt keine Ahnung und verfalle in reine Spekulation ohne sicheres „Fundament“.
Nebenbemerkung: Martin-Gutierrez, M. P. et al. legen uebrigens gut dar, dass diese Missattribuierung jedem haette passieren kønnen und definitiv nicht Sisodiya, S. M. et al. in die Schuhe zu schieben ist, denn die ganze (nicht nur genetische) Situation in dieser Sache ist so ungewøhnlich und kann auch heute noch leicht mit statistisch-gesehen-muss-RIMS1-fuer-die-Blindheit-verantwortlich-sein verwechselt werden.
Lange Rede kurzer Sinn: es sieht fuer mich trotz aller Widrigkeiten so aus, dass man einer genetischen Ursache fuer krass erhøhte Intelligenz auf der Spur ist. Sollte dem so sein, bleibt diese leider auch hier wieder mit einem massiven Nachteil verbunden.
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