Die letzten paar Artikel habe ich versucht darzulegen, warum der Effekt des Sitzens bzgl. der Entwicklung eines kolorektalen Karzinoms (CRC) nicht sooo grosz ist, dass man sich deswegen spezielle Sorgen machen muss, wenn man bspw. viel zockt. Im Laufe meiner Nachforschungen bin ich nun ueberraschenderweise darauf gestoszen, dass dieser Effekt des Sitzens wohl schon ziemlich lange relativ weit bekannt ist (zumindest in der Medizin).
In der „Supplementary Information“ zum Artikel von Ugai, T., et al. (immer noch nicht befreit) fand ich dazu den Artikel von Fraser, G. und Pearce, N. mit dem Titel „Occupational physical activity and risk of cancer of the colon and rectum in New Zealand males“ … *hust* … in Cancer Causes Control, 4 (1), 1993, pp. 45–50 und die schrieben vor nun schon 30 Jahren:
[…] an association between occupational physical activity and colon cancer has been found in a number of studies […]
Wie gesagt, ich war ueberrascht, denn zu mir ist das erst durch einen puren Zufall vor Kurzem durchgedrungen. Die Autoren errechnen ein ca. 25 % erhøhtes Risiko an CRC zu erkranken, wenn man richtig viel sitzt.
Noch besser fand ich aber den Artikel von Moradi, T. et al. (welche im Uebrigen auch auf einen Effekt von ca. 25 % kommen) im European Journal of Cancer Prevention, 17 (3), 2008, pp. 201–208 mit dem etwas laenglichen (aber definitiv aussagekraeftigen) Titel „Occupational Physical Activity and Risk for Cancer in the Colon and Rectum in Sweden Among Men and Woman by Anatomic Sub-Site„. Ich fand den deshalb besser, weil ich hier die Methodik und wie die zu den Daten gekommen sind, besser nachvollziehen konnte.
In kurz: in vielen Studien wie diesen beiden werden die Daten aus Datenbanken geholt und es wird ueber den Beruf ausgemacht, ob eine Person sich viel oder wenig bewegt. Das ist naheliegend und durchaus legitim. Andererseits mangelt es solchen Studien dann aber oft an anderen Informationen (ob eine Person bspw. raucht oder sich gesund ernaehrt). Naiv wuerde ich davon ausgehen, dass solche Sachen oft korellieren und wuerde daher vermuten, dass die 25 % nicht nur vom Sitzen kommen.
Letzteres wird im Wesentlichen von Nguyen, L. H. et al. in ihrem Artikel mit dem Titel „Sedentary Behaviors, TV Viewing Time, and Risk of Young-Onset Colorectal Cancer„, erschienen im JNCI Cancer Spectrum, 2 (4), 2018, und auch von Morris, J. S. et al. im British Journal of Cancer, 118 (6), 2018, pp. 920–929 im Artikel mit dem Titel „Physical activity, sedentary behaviour and colorectal cancer risk in the UK Biobank“ bestaetigt.
Beide benutzten Fragebøgen um diese zusaetzlichen Informationen herauszubekommen. Nguyen et al. schauten sich NUR Krankenschwestern an und nahmen die Anzahl der Stunden vor dem Fernseher um das Aktivitaetsniveau einer Person einzuschaetzen. Die Autoren kommen auf ein erhøhtes Risiko durch Sitzen von mehr als 50 %, geben aber zu, dass viel Fernsehschauen auch mit anderen Risikofaktoren fuer CRC korelliert (auch wenn versucht wurde bzgl. einiger zu korrigieren). Interessant fand ich diesbezueglich diese Aussage:
Limited evidence suggests that when compared, TV viewing, but not computer use, is more closely associated with chronic disease risk […]. The reasons for this may be because of a decrease in energy expenditure from TV watching compared to other media like video games […] coupled with an increase in energy intake associated with staying home and a susceptibility to TV programming cues for unhealthy eating […].
Wait! What? … Zocken ist also gar nicht so schlimm, weil man sich dabei aufregt (?) und keine Werbung hat die einen zum Griff in die Chipstuete animiert … WOHOOO! … Eins zu Null fuer mein mir liebstes Hobby (obwohl … das waere eigtl. Lesen, auch wenn ich das laengst nicht so viel mache wie Videospiele spielen).
Morris et al. fragten neben den oben erwaehnten „anderen Informationen“ direkt nach Bewegungsaktivitaet und wandelten dies in „metabolic equivalents […] per week“ um. Die grosze Staerke dieser Studie liegt also darin, dass nichts indirekt angenommen wird. Das Resultat: im Durchschnitt weniger (!) als 25 % erhøhtes Risiko fuer CRC durch wenig Bewegung. Ueber alle angegebenen Zahlen so Pi mal Daumen abgeschaetzt wuerd ich „im Mittel ca. 15 %“ sagen. Auszerdem ist der Effekt statistisch relevant meist nur dann, wenn man urste Couchkartoffeln mit Freizeitsportlern vergleicht, aber nicht, wenn man sich Leute anguckt, die sich tagsueber relativ normal bewegen.
In dem Artikel gibt es auszerdem eine Aussage die mich ueberhaupt nicht wundert:
Compared with those in the lowest category […], [people] in the highest total physical activity category […], were less likely to have attained a college education or university degree […].
Leute die sich viel bewegen sind also weniger gebildet. Das soll jetzt mitnichten herablassend sein, sondern vielmehr møchte ich darauf hinweisen, dass das gut zusammenpasst mit dem beim letzten Mal erwaehnten Trend, dass sich das Arbeitsleben stark veraendert hat. Man braucht heutzutage fuer viele Berufe eine bessere Bildung, diese Berufe gehen aber auch mit deutlich weniger Bewegung am Arbeitsplatz einher.
Ein weiteres persønliches Resultat nur fuer mich: ich bin nicht in der allerniedrigsten Bewegungskategorie und das scheint durchaus schon was auszumachen.
Diese vier Artikel sind von mir mehr oder weniger zufaellig ausgewaehlt worden, scheinen aber repraesentativ bzgl. dieser ganz spezifischen Sache zu sein.
Ich nehme hierbei mit, dass selbst die „schlimmsten“ Resultate nur auf ein (nicht mal) verdoppeltes Risiko fuer CRC durch einen sitzenden Lebensstil kommen. Wahrscheinlicher ist aber ein 25 % oder weniger erhøhtes Risiko. Wenn man also an CRC erkrankt, dann vermutlich nicht weil man viel zockt.
Mit diesem Beitrag will ich (wie schon vorher so oft) auf das folgene hinaus: der Effekt von wenig Bewegung bzgl. des Risikos an kolorektalem Karzinom zu erkranken ist echt, aber laengst nicht so grosz, dass man sich darueber besondere Sorgen machen muss.
Bevor ich diese Miniserie zusammenfasse, møchte ich beim naechsten Mal eine ganz wunderbare Nachricht verkuenden. Ganz wunderbar deshalb, weil die alle eventuellen Effekte von viel Sitzen ueberkompensiert.
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