… dass moderater Alkoholkonsum gut fuer einen ist.

Die gute Nachricht (sollte frei zugaenglich sein) ist, dass sich nach mehreren Jahrzehnten, in denen selbst die WHO den moderaten Konsum von Alkohol empfohlen hat, wohl bei den Verantwortlichen endlich ankommt, dass dem nicht so ist. An anderer Stelle werde ich ein bisschen genauer darauf eingehen, dass dieser Mythos schon ein bisschen laenger etwas suspekt aussah.

Wieauchimmer, das „Mehr“ im Titel kommt daher, weil ich dazu in 2018 schonmal was schrieb. Ich stolperte jetzt aber ueber einen wirklich tollen und interessanten Artikel von Holmes, M. V. et al., mit dem Titel „Association between alcohol and cardiovascular disease: Mendelian randomisation analysis based on individual participant data“ (sollte auch frei sein) in BMJ, 2014; 349:g4164.
Das lohnt sich schon allein wg. des „et al.“ mal draufzuklicken, denn das geht ueber 2 Seiten (jaja, ist ja nix gegen Artikel in der Teilchenphysik). In dem Fall ist das wichtig, denn es zeigt indirekt, wie viele Daten weltweit fuer diese Studie gesammelt wurden.

Nun muss ich etwas weiter ausholen.
Das Problem mit vielen medizinischen Studien ist, dass man keine randomisierte, kontrollierte Studie durchfuehren kann. Ein Grund beim Alkohol ist ethischer Natur: man kann niemandem sagen bitte jeden Tag 4 Flaschen Bier zu trinken, um zu schauen wie stark das die Gesundheit in 20 Jahren beeintraechtigt. Es gibt viele andere Gruende, warum solche „Goldstandardstudien“ nicht durchfuehrbar sind. Man kann natuerlich Beobachtungsstudien durchfuehren, aber die daraus geschlossenen Ursache-Wirkung Beziehung stellen sich gerne mal aus falsch heraus — wie bspw. bei dem worueber dieser Beitrag handelt, aber es gibt etliche solcher Faelle.
Wenn man keine bessere Methode hat, ist das mglw. dennoch besser als gar nichts. Und der von mir bereits øfter erwaehnte Selbstkorrekturmechanismus der Wissenschaft sorgt dann schon dafuer, dass falsche Aussagen berichtigt werden sobald das møglich ist. Das Problem ist das „sobald das møglich ist“, denn das dauert unter Umstaenden eine Weile,  weil es meist viele und lange und teure Studien benøtigt … oder die Entwicklung einer neuen Methode, welche sich dann aber auch erstmal durchsetzen muss … oft genug ist Beides vonnøten und genau das ist in diesem Falle passiert … hier muss ich nun noch ein bisschen weiter ausholen und thematisch einen Sprung machen.

*Hops*

Ab ungefaehr der Mitte des vorvorigen Jahrzehnts wurde die Untersuchung der Gene des Menschen mehr und mehr zum Standard in der Medizin. Damit meine ich, dass ueber die Zeit und durch die Arbeit vieler Menschen, mehr und mehr spezfische Gene ganz konkreten kørperlichen „Erscheinungen“ zugeordnet werden konnten. Letzteres sind offensichtlich genetische Krankheiten aber auch so Sachen wie, dass die Mutation eines Gens die Verarbeitung von Alkohol modifiziert … darauf komme ich spaeter nochmal zurueck, denn ich muss noch ein bisschen weiter ausholen und thematisch nochmal springen.

*Hops*

Wenn Keinzellen entstehen, findet keine gewøhnliche Zelltelung mittels Mitose statt. Diese wuerde naemlich nur das genetische Material identisch (!) verdoppeln und dann die Zelle teilen. Keimzellen entstehen mittels Meiose  .oO(ich frage mich, warum ich die dtsch. Wikipedia ueberhaupt noch probiere. Die enttaeuscht mich doch eh nur … *seufz*). Bei der Meiose wird das genetische Material auch erstmal verdoppelt. In einem zweiten Schritt werden dann aber genetisch kompatible Abschnitte der muetterlichen und vaeterlichen Chromosomen miteinander vermischt. Das geht, denn jedes Chromosom tritt doppelt auf (einmal vom Vater und einmal von der Mutter). Und das ist der wichtige Schritt, auf den ich hinaus will, denn die Vermischung ist komplett zufaellig … oder anders: randomisiert. Am Ende wird die Zelle dann drei mal geteilt, sodass vier Zellen mit je der Haelfte des (zufaellig vermischten) genetischen Materials vorliegt (denn Keimzellen haben ja nur die Haelfte der Chromosomen).

Bezogen auf das Problem dieses Beitrags sei so viel gesagt: die Verarbeitung von Alkohol wird im Kørper durch Enzyme geregelt welche in den Genen kodiert sind. Eines dieser Gene heiszt ADH1B. Wenn nun an einer ganz bestimmten Stelle dieses Gens ein einziges (!) Nukleotidpaar vertauscht ist, erhaelt man die ADH1B rs122984 Variante. Diese sorgt dafuer, dass der Kørper Alkohol schneller in ein „unangenehmes Abfallprodukt“ abbaut, weswegen Menschen mit dieser Genvariante die negativen Folgen von Alkoholkonsum eher spueren. Dies fuehrt dann umgekehrt dazu, dass diese Leute im Durchschnitt weniger trinken. Das „im Durchschnitt“ ist wichtig, denn Alkoholkonsum ist massiv durch das soziale Habitat gepraegt und selbst Leute die Traeger dieser Mutation sind, trinken viel, wenn das so erwartet wird von der Gesellschaft … im Durchschnitt aber immer noch weniger als „normale“ Leute … und weil mir das zu umstaendlich zu schreiben ist, nenne ich Menschen die die mutierte Form des Gens besitzen einfach Mutanten.

Ebenso wichtig fuer diesen Beitrag ist, dass diese Mutation NICHT mit irgendwelchen positiven oder negativen Einfluessen auf das Herz in Verbindung steht. Ebenso ist es NICHT assoziiert mit anderen Effekten die gut fuer’s Herz sind (bspw. dass man gerne Sport treibt oder weniger zu Bluthochdruck neigt). Und ich „hacke“ so auf dem Herz herum … naja, der geneigte Leser møge sich nochmal den Titel des Artikels von Holmes et al. anschauen ;) .

Damit bin ich fertig mit dem weiter ausholen und kann sagen, dass sich die Methode der „Mendelschen Randomisierung“ die komplett zufaellige Verteilung von mutierten Genen (deren Einfluss bekannt und klar definiert ist) in der Gesellschaft  zunutze macht. Mendelsche Randomisierung ist eine Methode … (alle Zitate sind aus dem ganz am Anfang verlinkten Artikel, Hervorhebungen sind von mir) …

[…] in which genetic variation that could have no plausible association with typical confounding factors, […] can test the relationship between […] [a] causal factor and the outcome.

Wichtig: die Mutation  …

[…] is associated reliably with exposure to a putative causal factor […].

Oder anders:

The assumption is that the genotype itself has no direct effect on the outcome and no role in the outcome apart from a mediating effect via the causal factor. If the genetic variation turns out to be associated with the outcome, there is a reasonable presumption that this is through the putative cause.

Der Genotyp sind die Gene an sich, in dem Falle also mit der Mutation, waehrend der Phaenotyp die konkrete Ausformung (bspw. die Kørperform aber auch psychische und soziale Dinge) besagter Gene in der gegebenen Umwelt ist. Der Genotyp beeinflusst den Phaenotyp natuerlich massiv (mir werden nicht pløtzlich Fluegel wachsen), aber ist nicht allein entscheidend (es gibt durchaus alkoholkranke rs122984-Mutanten, nur mit geringerer Wahrscheinlichkeit).

Mendelsche Randomisierung ist nicht ohne Nachteile, aber wenn man nun Observationsstudien durchfuehrt UND die Gene der Teilnehmer untersucht UND eine Mutation hat, die mit der Fragestellung der Studie auf oben beschriebene Weise zusammen haengt, dann kønnen die schwerwiegenderen Nachteile besagter Observationsstudien ueberkommen werden:

[i]t is less susceptible to confounding, misclassification and reverse causation than prospective cohort studies […].

Der Grund liegt natuerlich darin, dass eine Randomisierung bei der Meiose der Keimzellen stattfand, aus welchen spaeter der Proband „gebaut“ wurde. Das wiederum fuehrt zu einem weiteren Vorteil dieser Methode: man sieht den Einfluss des untersuchten Effekts ueber das ganze Leben und nicht nur zum Untersuchungszeitpunkt.

Ich hoffe ich habe es geschafft, die Grundlagen der Methode, auf der die oben erwaehnte Studie von Holmes, et al. basiert, darzulegen. Nun ist dieser Beitrag aber jetzt schon so lang und deswegen habe ich entschieden diese Studie nicht hier, sondern in einem zukuenftigen Artikel naeher vorzustellen.

Ach ja, so viel sei doch noch gesagt. Das bemerkenswerte „et al.“ kommt dadurch zustande, dass Holmes und seine direkten Kollegen versucht haben wirklich _jede_ relevante Studie ausfindig zu machen. Das waren 56 insgesamt und die Einbeziehung so vieler Studien fuehrt natuerlich zu sehr vielen Koautoren.
Das ist aber auch sehr gut aus zwei Gruenden. Zum Einen ist die statistische Grundlage bei mehr als 250-tausend Probanden robust und das ist wichtig, denn die entscheidende Mutation tritt nur in 7 % aller Menschen auf. Zum Anderen sind die Studien aus mehreren Weltgegenden und damit fallen mehrere „kulturelle Størfaktoren“ weg. Letzteren kønnten (wuerden?) auftreten, wenn man bswp. nur Teilnehmer aus den USA haette. Diese Aussage unterliegt einer Einschraenkug: es handelt sich bei allen Teilnehmern um Individuuen mit europaeischer Abstammung. So gleich wir Menschen auch sind, so kann doch unser Genotyp (und dessen Mutationen) unterschiedlich genug sein, sodass es einen Unterschied fuer solche Studien machen kann.

Aber wie gesagt, mehr dazu ein andermal.

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