Ich sagte, dass Hannah Arendts, Elemente und Urspruenge totaler Herrschaft

[d]as Kernstueck, ja das Herz, des Triptychons, das alles zusammenhaelt und erst die Grøsze und Wichtigkeit aller drei erkennen laeszt […],

… ist. Dies ist unmittelbar zu erkennen in den letzten beiden Eintraegen in dieser Reihe, in denen die ich gar nicht umhin kam auf die Analysen Arendts zurueck zu greifen. Andernfalls waere die Relevanz der Werke Marx‘ und Solschenizyns nicht zu beschreiben bzgl. meiner ganz persønlichen, mich plagenden Fragen; die nach der inherenten Boshaftigkeit von mir, als ganz normaler Mensch und warum Bildung da scheinbar nicht gegen hilft.

(Fast) alle „Bildungsbrocken“ und „Wissenshappen“ bzgl. dieser Fragen, insb. im Kontext der industriellen Ausrottung von Menschen, sind meistens sehr detaillierte Teile eines (schrecklichen) Gesamtbildes. Sei es das was man in der Schule lernt, Ausstellungen (nicht nur in Museen), die meisten Buecher, Augenzeugenberichte etc. pp.
Einige wenige Quellen erlauben „einen Schritt zurueck zu gehen“ und mehr vom „Bild der Menschheit“ zu sehen. Karl Marx und Alexander Solschenizyns Buecher ragen dabei besonders heraus, da diese ganze Teilbereiche der relevanten, ineinandergreifenden Themen betrachten.

Um weiteres nøtiges Hintergrundwissen (auf dem die Gesamtanalyse fuszt) bereitzustellen, muss Hannah Arendt wieder erstmal ganz im kleinen Anfangen. Sei es die Betrachtung der Entwicklung der (europaeischen) Juden und des (politischen) Antisemitismus oder die Entstehung und Merkmale des Imperialismus. Und Ach du meine Fresse! habe ich ich dabei krass viel gelernt! Warum wird uns sowas nie erzaehlt! Die Betrachtungen Arendts enthalten nichts Unnøtiges und der grøszte Teil der Informationen ist (beinahe) komplementaer zu allem was ich vorher gelernt habe. Soll heiszen: das ist zwar alles bekannt, faellt aber nicht unter dem Wissenskanon der Nichtspezialisten „angeboten“ wird im normalen Leben.

An dieser Stelle seien diesbezueglich zwei Themen erwaehnt die wichtig sind um zu analysieren wie es zur industriellen Vernichtung menschlichen Lebens kommen konnte. Das erste betrifft die Entwicklung der Rolle der Juden in der Gesellschaft Europas. Die Juden waren fundamental wichtig fuer das funktionieren der Feudalstaaten, beschafften Erstere doch das Geld fuer dier Herrscher. Besonders anschaulich war dies in der Form des Hoffaktoren. Dies beinhaltet natuerlicherweise auch unheimlich viel Macht in den Haenden der Juden. Aber selbige haben diese Macht NIEMALS wirklich benutzt, auszer um sich des (oft persønlichen) Wohlwollens der Herrscher (bspw. durch besondere Schutzgesetze) zu versichern. Dazu kamen noch andere gesellschaftliche Faktoren aber der Kuerze halber gehe ich an dieser Stelle nicht weiter darauf ein.

Das Problem entwickelte sich dann zweigeteilt. Zum Einen verlor die Finanzierung des Staates durch Juden stark an Bedeutung. Dies hing damit zusammen, dass (andere) private Banken diese Rolle uebernahmen. Das hing wiederum mit der Industrialisierung und der Entwicklung des Kapitalismus zusammen aus der sich die Juden heraushielten (die wurden einfach keine Fabrikbesitzer, obwohl sie das haetten werden kønnen). Das private Kapital gewann aber massiv an Bedeutung (auch dadurch wie der Imperialismus auf die Politik und Gesellschaft der Staaten zurueck wirkte) und dadurch verloren die Juden den oben erwaehnten Schutz der Maechtigen.
Zum Zweiten dachten die Buerger der Staaten dennoch weiterhin, dass die Juden unheimlich viel Macht haben und den Staat im Geheimen lenken. Das hatte zwar ueberhaupt keine faktische Grundlage (s.o., da die Juden die Macht nie genutzt haben und zum Zeitpunkt der Jahrhundertwende diese (potentielle) Macht schon laengst verloren hatten). Dieses (falsche) Gefuehl wiederum war natuerlich der Fanghaken mit dem antisemitische Vereinigungen die vermassten Buerger fangen und deren Handlungen Richtung (und mglw. sogar (eingebildeten) Sinn) geben konnten.

Mit dem Antisemitismus sind wir direkt bei der Grundlage des Naziregimes: die Rassenideologie als (Perversion und Missbrauch der Ideen Darwins) — also der Vorstellung, dass es „minderwertige Elemente“ gibt die vernichtet gehøren, und der damit einhergehende Terror. Hierbei ist GANZ WICHTIG dass die Juden da nur „als Erste“ ausgeløscht werden sollten, weil die Nazis auf dem historisch bereits vorhandenen Antisemitismus aufbauen (und diesen zum politischen Antisemitismus ausbauen) konnten. Aber mit „minderwertige Elemente“ war prinzipiell jeder gemeint. Seien es Menschen mit Behinderungen oder sog. „Erbkrankheiten“ oder auch Polen und Ukrainer, deren Ausrottung bereits vorbereitet wurde und die nur deswegen nicht stattfand, weil der Krieg dann zum Glueck verloren war. Aber auch Priester, Freidenker, natuerlich politisch Oppositionelle (die aber im Naziregime ohnehin keine Rolle spielten), Eltern die von ihren Kindern angeschwaerzt wurden und ueberhaupt jeder Mensch. Denn der alltaegliche Terror ist das Kennzeichen totalitaerer Regime. Oder um es mal wieder mit den Worten Solschenizyns zu sagen: Die Strøme muessen flieszen.

Bei den Bolschewiken war das nicht anders. Diese hatten anstatt der Rassenideologie eine Klassenideologie (als Perversion und Missbrauch der Ideen Marx‘). Die Definition der „absterbenden Klassen“ die vernichtet gehøren aenderte sich auch hier staendig. Seien es die Angehørigen der Bourgeoisie, Frontkaempfer die zu lange im besetzten Ausland waren (weil es ihnen befohlen wurde), die Opfer der regelmaeszig stattfindenden Saeuberungen in der øffentlichen Verwaltung, etc. pp. Auch hier wieder der alltaegliche Terror als wesentliches Merkmal totalitaerer Herrschaft.

Und Terror muss immer ausgefuehrt werden von konkreten Menschen. Seien es die Agenten des NKWD, die Mitglieder der SS, die Schlaechter in den Folterkellern, Aerzte die bereitwillig Giftspritzen geben, ideologisch erzogenen junge Menschen die andere an den Galgen bringen, etc. pp. Und das faellt dann wieder zurueck auf die Frage der Boshaftigkeit in einem Selbst und inwieweit Bildung eine Erziehung zur persønlichen Verantwortung ermøglicht.

Oben erwaehnte ich, dass ich zwei Dinge erwaehnen muss. Die Rolle der Juden, Antisemitismus und die daraus entstehende Rassenideologie der Nazis (bzw. die beinahe deckungsgleiche Klassenideologie der Bolschewiken) war nur das Erste.
Das Zweite ist die Entwicklung des Imperialismus. Ich erwaehnte bereits, dass gewisse Merkmale dieser Entwicklung auch auf den zuerst angesprochenen Aspekt zurueck wirkten. Marx legte nun dar, dass der ganze Daseinszweck des Kapitals ist, sich zu vermehren. Dies tut es dadurch, indem es seine Einflussspaehre erweitert. Irgendwann geht das im Inland nicht mehr und die Aktivitaeten werden ins Ausland verlagert. Und damit sind wir beim Imperialismus. (Uff … was fuer eine krasse Verkuerzung des Sachverhalts, aber an dieser Stelle geht das nicht anders.)
Der Punkt ist, dass aus den Wirkmechanismen des Kapitalismus folgt, dass es keinen Stillstand dieses Prozess gibt. Bzw. erst dann, wenn die ganze Welt erobert ist. Hannah Arendt gebraucht die Worte Cecil Rhodes um diesen Sachverhalt auszudruecken:

I would annex the planets if I could […].

Dies war mit unendlichen Verbrechen verbunden. Siehe bspw. die Graeuel in Belgisch Kongo, aber auch die der Briten in den entsprechenden Kolonien, der Genocid an den Ureinwohnern (egal welchen Landes) und so weiter immer fort tut sich der Abgrund der Boshaftigkeit (gebildeter!) Menschen auf!
Aber Arendt legt dann deutlich klar dass diese Greuel vom zugrundeliegenden Charakter her (also wie diese „theoretisch begruendet“ wurden) fundamental anders waren als der alltaegliche Terror totalitaerer Regime. Dies lag daran, dass Erstere gegen klar definierte Menschengruppen gerichtet waren, Letzterer aber gegen alle Menschen. Es versteht sich von selbst, dass dies in keinster Weise die furchtbaren Taten relativiert!

Dieser fundamentale Unterschied liegt nicht zuletzt daran, dass die Wirkmechanismen des Kapitalismus (aus dem der Imperialismus direkt entsprang, s.o.) dies verbieten. Mag man jetzt gar nicht denken, wenn man sich an die vielen industriellen erinnert die die Nazis unterstuetzt haben. Aber Kapitalisten brauchen Arbeiter, weil nur diese den Waren Mehrwert zusetzen (und als Konsumenten). Die økonomische Bilanz der Konzentrationslager und Gulags war aber katastrophal schlecht. Dies ist nicht verwunderlich ist, wenn man die dort herrschenden Zustaende bedenkt, denn wenn man heute gut arbeitete wurde man morgen trotzdem totgeschlagen. Die økonomische Bilanz der Lager tut aber auch gar nichts zur Sache, denn die industrielle Ausrottung von Menschen ist zum Einen Teil der jeweiligen Ideologie und zum Anderen ein Mittel des alltaeglichen Terrors. Die Lager (selbst jene die als „Arbeitslager“ bezeichnet wurden) haben also einen ganz anderen Daseinszweck als „Arbeit“.

Die Verbindung zwischen Imperialismus und Totalitarismus liegt nun in dem Folgenden: kapitalistische Expansion kann nicht enden bevor alles erobert ist und der Terror kann nicht enden, bevor nicht jedwedes „unreine“ (Volks)Element vernichtet wurde. Die Nazis haben diese immerwaehrende „Expansion“ direkt nach auszen gefuehrt (im Krieg mit anderen Staaten), waehrend die Bolschewiken eine „immerwaehrende Revolution“ in eigenen Land ausriefen.
Dadurch dass die „Psychologie“ des Ersteren (des Imperialismus) jahrzehntelang auf die Gesellschaft und Politik der Ursprungslaender zurueck wirkte, war die „Psyche des Volkes“ schon daran „gewøhnt“, dass ein Ziel niemals erreicht wird (mindestens nicht innerhalb der Lebenszeit). Der Zustand wie er jetzt ist, wird als fuer immer waehrend angenommen, warum also dagegen vorgehen, warum persønliche Verantwortung uebernehmen?

Das war jetzt ein sehr langer (und leider unzulaessig verkuerzender) Abstecher  in die Grundzuege von Hannah Arendts Analyse. Dieser war aber nøtig um das (dann doch oft sehr deutlich) Ineinandergreifen der drei Werke zu verdeutlichen.

Eine ganz wichtige Sache dabei ist, dass sie erkannt hat, dass Hitlers Reden und Pamphlete BUCHSTAEBLICH zu lesen sind! Und er hat ja auch alles gemacht (oder ernsthaft versucht zu machen) was er darin angekuendigt hat. Das war wohl ’n ziemlicher Knaller als sie mit der buchstaeblichen Interpretation kam und alles zu dieser Interpretation passte.

Mit ihrem Buch hat Hannah Arendt Fragen beantwortet die so lange an dem was mich innerlich ausmacht genagt haben.Dies in einer unerwarteten und nicht im Traum dran gedachten Art und Weise, denn ihre Analyse kam aus einer „unerwarteten Richtung“. Das ist aber mglw. auch der Grund warum genau diese unerwartete Betrachtungsweise es schaffte, den (intellektuellen) „Knoten“ (die zwei immer wieder erwaehnten Fragen) in mir zu løsen. Und deswegen, wie bereits frueher erwaehnt, kam mir das Lesen dieses Buches einer Offenbarung gleich :) .

Fuer mich ist die Essenz ihres Buches, dass wenn man sich ernsthaft (und zu sich selbst ehrlich) mit diesem unangenehmen Thema (der eigenen Bosheit) beschaeftigt (wenn auch via eines „Umweges“ ueber die Analyse der Elemente und Urspruenge totaler Herrschaft), die Mechanismen erkennen kann die in die Katastrophe des 20. Jahrhunderts fuehrte.
Und wenn man diese kennt und mit sich selbst in Verbindung bringen kann, NICHT als Schuldgefuehl, sondern als Ehrlichkeit mit sich selber, dann hat man zumindest die Chance sich dem bewusst zu werden, wenn andere versuchen einen zum Mittaeter am (nicht nur industriellen) Ermorden von Menschen zu machen. Und dann kann man dagegen arbeiten.
DAS ist die eigene Verantwortung! DAS ist NICHT Hitlers Schuld! Denn die Summe der Ablehnung eigener individueller Verantwortung fuehrt zur Katastrophe!

Deswegen hat Victor Klemperer Recht, als er in seinen Tagebuechern waehrend der Nazizeit schrieb, dass er den normalen Menschen vergeben kønnte, denn die konnten es nicht besser wissen, dass dies aber nicht im Geringsten fuer die Intellektuellen gilt, die sich bereitwillig haben zu Mittaetern machen lassen.

Aber hierin drueckt sich dann auch die inhaerente Hoffnung, und die Schønheit (abgesehen von der intellektuellen Schønheit), des Triptychon aus. Denn trotz der darin behandelten, enrsthaften, oft furchtbaren Themen, zieht sich ein fundamentaler Glaube, ja das Wissen, durch die Buecher, dass die Menschheit als Ganzes, in Form der sie konstituierenden Individuuen, diese Verantwortung uebernehmen kann. Eine aehnliche Katastrophe in der Zukunft ist KEIN unentrinnbares Schicksal, sondern wir haben das selber in unserer Hand dies zu verhindern.

Und trotz der schwer „verdaulichen“ Themen ist es gerade diese positive Glaube an die inhaerenten Møglichkeiten der Menschen, dass dem Bøsen in einem Selbst, Gutes entgegengestellt werden kann, warum mich diese drei Werke so stark beeinflusst haben und deren Einfluss mich mein Lebtag nicht verlassen wird.

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