Neulich verwies ich auf so ein paar Dinge die schief laufen im Wissenschaftsbetrieb. Dass der Begriff „Betrieb“ ueberhaupt benutzt wird, und korrekt benutzt werden kann in diesem Zusammenhang, ist meiner Meinung nach die Grundlage dieser Uebel. Aber darueber møchte ich mich heute nicht auslassen.

Vielmehr møchte ich euch, meinen lieben Leserinnen und Lesern, einen Artikel mit dem Titel „Science Rather than God: Riccioli’s Review of the Case For and Against the Copernicus Hypothesis“ von Christopher M. Graney im Journal for the History of Astronomy, 2012, Vol. 43, No. 2, p. 215-226 vorstellen (hier nochmal fuer den Fall, dass der andere Link zu einem verschlossenen Journal fuehrt). Denn dieser machte mich sehr deutlich auf ein zwei, von mir irgendwie immer als wahr und nicht weiter hinterfragte, ja nie so richtig artikulierte, Ideen aufmerksam, die sich dann als nicht ganz so wahr heraus stellten.

Diese sind:
– Galileo und so waren die Guten und haben sich streng wissenschaftlich verhalten,
– die Anderen waren die Bøsen Ignoranten und sind dem Aberglauben gefolgt anstatt wissenschaftlichen Prinzipien.

„Galileo und so“ ist/sind ja bekannt. Als Beispiel fuer „die Anderen“ steht in dieser Geschichte der Jesuit (!) Giovanni Battista Riccioli. Dieser war Astronom und besagter Artikel untersuchte …

[…] his analysis of the case for and against the Copernican hypothesis in his 1651 Almagestum novum.
Und dann geht es auch schon los mit den neuen Erkenntnissen. Denn …

[…] contrary to […] [popular belief], Riccioli had real arguments to support the geocentric system […] and neither biblical/theological arguments nor the authority of the Church played any significant role in them.

Wait what?!

Ein Jesuit der die Wissenschaft auf ihrem eigenen Gebiet mit ihren eigenen Methoden schlaegt? Auch wenn es sich im Nachhinein dann doch als nicht richtig heraus gestellt hat.

Tatsaechlich! Nicht nur war Ricciolis Analyse:

[…] not dependent on either authority or scripture.

Sondern vielmehr waren seine …

[…] two key arguments — both scientific in nature, …

nicht nur zur damaligen Zeit schwer zu entkraeften (und wir erinnern uns hier an Popper und Wissenschaft und Falsifierzierbarkeit und so) sondern …

[…] both destined to be matters of scientific investigation into the nineteenth century, long after the debate over the world system hypothesis was settled.

Krass wa! Das hørt sich fuer mich an so wie bei Newton. Erst viele Jahrhunderte nach seinem Tod konnte gezeigt werden, dass seine Gravitationstheorie weniger richtig ist, als eine andere Theorie. Dafuer brauchte es erst einen Einstein. Und trotz seiner zahlreichen und langjaehrigen Beschaeftigungen mit Alchemie und biblischer Chronologie, behandeln wir Newton als „richtigen Wissenschaftler“. Schon toll, wenn man so schlau ist, dass man gleich in drei Richtungen ernsthaft forschen kann und noch toller, wenn die eine Richtung (bei Newton die Physik) sich dann auch noch als Erfolg heraus stellt. Die Geschichte hat halt ein sehr selektives Gedaechtnis.
Oopsie … ich schwoff ab.

Jedenfalls Ricciolis zwei Hauptargumente waren …

[…] both difficult to refute at the time […].

Und wissenschaflich ist es, mit dem _vollen_ Wissen zu arbeiten, was einem zur Verfuegung steht und nicht nur mit dem, was einem in den Kram passt. Siehe dazu auch das Zitat am Ende dieses Beitrags.

Aber es wird sogar noch besser, denn …

[t]he argument in the Almagestum novum is a serious-minded analysis, whose overall geocentric conclusions are backed by real scientific argument.

Wait what (again)?!
Manchmal liegt die Wissenschaft halt doch falsch mit ihren Aussagen (siehe auch Newtons Gravitationstheorie) und kann sich erst durch neue Beobachtungen selbst berichtigen. Das aber macht _nicht_ (!) die ganze wissenschaftliche Methode an sich schlecht, sondern das bleibt Wissenschaft.

Soweit zu den Anderen. Die waren also gar nicht so ignorant wie ich dachte, die wussten es nur nicht besser (im Wortsinne), weil die Messungen fehlten. Wer sich dafuer intessiert, fuer den lohnt sich der Artikel wirklich zu lesen. Raeumt er doch gruendlich mit dem oben erwaehnten Mythos auf.

Nun noch zu „Galilei und so“ (und wie ich ueberhaupt erst auf den Artikel aufmerksam wurde). Ich versuche es kurz zu halten und nicht weiter zu kommentiere sonder die Zitate aus diesem Beitrag fuer sich selbst sprechen zu lassen. Aber Achtung: liebgewonnene (Helden)Mythen kommen hier ins wackeln.

Los geht’s.

The heliocentrism-geocentrism debates were common among astronomers of the day, and were not hindered, but even encouraged by the pope.

Huh?

The Church didn’t suppress science, but actually funded the research of most scientists.

WTF?
Krass wie sehr wir ich gepraegt bin von diffusen Ideen ueber die sogenannte „Aufklaerung“ und unseren meinen „romantischen Vorstellungen“ wie viel besser wir doch sind, als das sogenannte „dunkle Mittelalter“.

Im Uebrigen lohnen sich auch dieses und jenes Kommentar zu dem oben verlinkten Beitrag, tragen diese doch so schøn zur Differenzierung der Sache bei.

Und vøllig aus dem Zusammenhang gerissen, aber da ich gerade dabei war liebgewonnene Vorstellungen zu hinterfragen: Inventing the Crusades. Das liest sich auch alles deutlich anders, als ich das bisher kannte.

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