Vor einiger Zeit landete ich (vermutlich nicht ganz so) zufaellig auf einem Weblogeintrag einer mir bekannten nicht unbekannten Person.

Dort wurde ganz provozierende gefragt:

Wozu selbst etwas lernen …

Und auch wenn die Forsetzungspunkte auf gute Argumente hoffen lassen, so folgen nur ein paar zynische Kommentare.

Apropos _gute_ (!) Argumente. Damit meine ich nicht das uebliche Bla-Blubb der Bildungsbuerger, die eigentlich nur am Erhalt ihrer Macht arbeiten.

Wieauchimmer, ich finde diese Frage UNHEIMLICH wichtig!

Denn wenn eine Gesellschaft das nicht zu beantworten weisz, dann wird es schlimm enden fuer die Konstituenten eben dieser Gesellschaft.

Wir sehen die Anfaenge in der Kapitalisierung der Bildung. Ich habe den Eindruck, dass in Dtschl. im Wesentlichen eigtl. nur noch Privatschulen vernuenftiges Lernen im Kinder- und Jugendalter ermøglichen.
Und das sind laengst nicht mehr nur „die Anfaenge“. Das ist schon ziemlich weit fortgeschritten.

Und einher mit der Kapitalisierung geht die Monopolisierung der Bildung. Nur noch wer es sich leisten kann, (zeitlich, monetaer, psychisch etc.) kommt in den Genuss von Wissen, welches einen voranbringt.

Aber auch darum soll es eigentlich nicht gehen. Das soll nur etwas unterstreichen, warum diese Frage so wichtig ist.

Und an dieser Stelle ein weiterer kurzer Umweg in der Diskussion: Das (bis vor einigen Jahren durchaus gueltige) Argument, dass man durch Bildung aufsteigt, sozusagen „was aus sich machen kann“, ist auch laengst nicht mehr so allgemein gueltig! Wenn mehr Leute studieren, dann findet der „Arbeitsplatzkampf“ eben auf høherer Ebene statt. Und am Ende verlieren die Leute! Wer die Gewinner sind, mag sich jeder selber denken. Sieht man ja, wie gut es den Leuten im Exportweltmeisterland geht.

Nun aber.

Wozu selbst etwas lernen?

Ich muss das Thema gewaltig einengen: warum lesen lernen?

Vor vielen Monaten stellte ich diese Frage mal einigen Personen. Da kamen dann die bekannten Argumente als Antwort.
Zwei Leute (keine Technologen!) hatten die eigentlich noch besten Argumente, dass das wichtig ist fuer die Fantasie und die Kreativitaet.

Im Wesentlichen aber drueckten sich die Gefragten davor, darueber mal ernsthaft nachzudenken. Die gesammelte Reaktion kann ungefahr so umschrieben werden: „EMPØRUNG! WIE KANN MAN SOWAS AUCH NUR DENKEN! DAS HABEN WIR DOCH SCHON IMMER SO GEMACHT! BUERGERLICHE WERTE!“.
Wie gesagt: das ist die Zusammenfassung der gesammelten Reaktionen. Im Einzelnen war das alles viel netter und irgendwie wurde versucht da was zu antworten. Aber letztlich sind wir alle die Menschen in meinem sozialen Habitat Bildungsbuergerkinder und diese Frage ruettelt an den Grundfesten der Weltanschauung. Da kann man den anerzogenen Mechanismen nur schwer entkommen. Zumindest erging es mir so. Das hat wirklich lange gedauert, bevor ich dieser Frage relativ objektiv begegnen konnte.

Aber eben weil dem so ist, hierzu ein paar Bemerkungen:
– NEIN! Mitnichten war das schon immer so!
– Auch heute braucht man nicht lesen lernen, um durch’s Leben zu kommen.
– Bzw. _insbesondere_ heutzutage braucht man das immer weniger. Ein Beispiel: „Apps“ die den Busfahrplan vorlesen. Genau sowas wird uns doch immer von den Technologiekundigen vorgeschwaermt. Dann sollen eben die sich gefaelligst auch nicht so unreflektiert aufregen (wie bspw. im oben verlinkten Artikel), wenn einer die Møglichkeiten der von Ihnen geschaffenen Technologien nutzt, um der Gesellschaft Kosten zu sparen (a.k.a. weniger fuer die Schulen auszugeben). Oder bitte informiert drueber aufregen und in dem Zusammenhang vllt. das naechste Mal doch nicht so ohne viel drueber nachzudenken der Religion „neue Technologie“ folgen!
Aber ich schwoff ab.
– Das mit dem „lesen lernen“ ist eine ziemlich elitaere Vorstellungen (siehe oben: genuegend Ressourcen fuer Bildung haben).
– Und diese elitaere Vorstellung wird Anderen aufgezwungen.

Nun denke ich aber, dass das eigentlich ganz gut so ist, dass alle Menschen lesen lernen (und mehr). Dass das denen auch aufgezwungen wird.
Nicht aus den ueblichen „Innovation, neue Arbeitsplaetze, Bildung bringt dich weiter etc.“-BlaBlubbs. Auch wenn das (mit Einschraenkungen) durchaus gueltige Argumente sind.
Sondern ich denke, dass es gut ist, wenn eine Bevølkerung „Basiswissen“ erlernt. Und noch viel wichtiger: Erlernt, wie man sich selbst neues Wissen verschafft.
Denn DIES ist fundamental, fuer eine informierte Gesellschaft. Denn nur eine informierte Gesellschaft ist in der Lage eine Revolution durchzufuehren.
Und das meine ich nicht nur im politischen, sondern auch im sozialen oder kuenstlerischen Sinne.

Im Politischen (aber nicht nur dort) werden revolutionaere Gedanken gerne unterdrueckt. Siehe bspw. der Umgang mit dem Begriff „Hacker“ oder der lange und beschwerliche Weg zur (wirklich und wahrhaftigen) Gleichstellung.
Und wer sich nicht selbst zu informieren weisz, ist darauf angewiesen, was die Machthabenden einem an Information vor die Fuesze werfen.

Und genau deswegen schreibe ich auch ueberall „Gesellschaft„. Das reicht nicht, wenn das nur eine Untergruppe kann. Seien es besagte Hacker, oder eben die Bildungsbuerger. Denn mit Wissen einher geht Macht … Und Macht korrumpiert … IMMER! Sieht man ja bspw. an den Gruenenwaehlern, die einstmals auszogen um die Gesellschaft zu veraendern und nun dort angekommen sind, wo sie die Einfuehrung von Gesamtschulen in Hamburg verhindern kønnen.

Deswegen lesen lernen … und lesen … alles Møgliche, denn das ist nøtig fuer einen aktiven Geist … und nur aktiver Geist gelangt vorwaerts (in allen denkbaren Dingen, nicht nur technisch oder politisch) … also ganz im Sinne von

¡Viva la Revolución!

3 Comments

  1. Manni says:

    Die Themen im Blog hier sind immer so groß, dass man nicht weiss wo man anfangen soll und dann lieber nicht anfängt. Also Stichwort „vorwaerts“ nehme ich gerne auf. Lesen heisst für mich: was Neues denken. Überhaupt Denken. Zukunft denken. Einen Raum aufmachen, zum leben! Und da solls doch hingehen: nach vorne! (Nicht zu verwechseln mit höher, schneller, weiter.) Nicht lesen, heisst der aktuellen Ideologie zu gehorchen. Zeitung lesen, heisst auch der aktuellen Ideologie zu gehorchen. Der Status Quo ist doch das Uninteressanteste, und der Sachzwang. Klar kann ich zukünftig an meinem Bio-Port viel effizienter die Informationen der Welt mit den Informationen des Körpers abgleichen (Nachrichten, körperliche Bedürfnisse/ Mängel, etc.) und das wäre auch ganz nützlich (Wofür eigentlich? Für die Wirtschaft – also für mich? Vielleicht finde ich nicht nur schneller eine/n Partner_in, sondern auch den/die Perfekte_n – in welcher Hinsicht eigentlich? Diese Information wird mitgeliefert und zur Auswahl gestellt). Fotos und Kurznachrichten tauschen, Informationen über eine Hölle des ewig Gleichen abGleichen, die Ausnutzung des menschlichen Bedürfnisses nach Austausch und Kontakt inklusive Schrumpfung auf ein Minimum, das ist doch nicht das Leben. Vielleicht das nackte Leben. Aber kein Raum zum leben. Aber einen Raum öffnen, der mir als Mensch was bedeutet, das passiert doch in der Kunst, also in der Literatur beim Lesen zB. Nicht mittels Technik. Der Raum geht doch nicht auf, weil ich im Flieger mit nach New York sitze oder auf die Seychellen reise, um zu gucken, ob es da wirklich so schön ist wie auf der Postkarte. Vor 150 Jahren sind Menschen schon mit Jules Verne Richtung Mond gereist. Da waren wir doch schon längst im All, tolle Reise! Lesen heisst Schlupflöcher finden, Steigleitern bauen. Und Science Fiction ist doch im besten Falle etwas, wo am Ende der Mensch sich verhandelt (auf Tantalus zB) und nicht die Technik verhandelt wird. „Früher, wenn die Griechen techné sagten, meinten sie Kunst. Heute, wenn wir state of the art sagen, meinen wir technology. Schon komisch.“ (CGI-Fachmann) Technischer Fortschritt ist super. Aber nicht ohne Idee. Filme werden auch nicht besser durch digitales und diskretes Auffüllen von Menschenbeständen. Und da ist doch klar, dass uns die Aliens nicht besuchen kommen, also dass uns die Zukunft nicht besucht! Die haben kein Bock, von Formfleisch-Klonen begrüßt zu werden, da haben die einfach keinen Nerv drauf!

  2. Tentacel says:

    Was fuer ein fantastischer Kommentar! So eine feine Verknuepfung von Dingen, deren Zusammenhang ja sublim ist.
    Und ansonsten: sag ich doch!
    Bspw. hier: http://www.soeren-in-norwegen.net/blog/2015/07/oder-auch-nicht/

  3. Tentacel says:

    Eine Sache noch: dieser Kommentar kam vøllig ueberraschend und ich bin mir nicht vøllig sicher, wem er zuzuordnen ist. Aufgrund des Stils habe ich aber eine Idee und ich denke, dass die richtig ist.
    Wieauchimmer, was ich eigentlich noch hinzufuegen wollte ist, dass insbesondere solche Kommentare mich dazu bewegen weiterzumachen. Gibt mir dies doch das Gefuehl, nicht in einen luftleeren Raum zu sprechen.
    Eigentlich sind alle Kommentare willkommen und geben mir dieses Gefuehl. Auch ein zustimmender Punkt.
    Nur als ich dieses Kommentar las, hatte ich seit langer Zeit mal wieder das Gefuehl verstanden zu werden. Und dass das, worueber ich hier schreibe wichtig ist. Und zwar nicht nur in meinem Kopf.

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