Den dritten Teil dieser Artikelreihe schloss ich mit einer horrenden Frage ab:
[…] [was] bedeutet [es], wenn man voraussagen kann, dass jemand eine Handlung begeht, von der er noch nichtmal selbst weisz, dass er die møglicherweise (oder auch nicht) begehen wird?
Diese Frage wurde gestellt mit dem Hintergrund einer algorithmisierten Gesellschaft. Dazu brachte ich im letzten Beitrag ein paar Beispiele.
Aber diese im NACHHINEIN (!) algorithmisierte Gesellschaft ist nur EIN Teil.
Der andere (und unmittelbarere) Teil, sind die in Echtzeit (oder beinahe in Echtzeit) algorithmisierten Handlungen der einzelenen Menschen.
Man beachte den wichtigen Unterschied: Auch wenn die vorher besprochenen Konsequenzen einer (im Nachhinein) algorithmisierten Welt, einen sehr direkt betreffen werden (bspw. durch høhere Versicherungspraemien), so funktioniert diese Algorithmisierung im Wesentlichen nicht mit einzelnen Menschen. Nur ueber grosze Gruppen kann man ein „Raster“ von „auffaelligen“ Algorithmen legen (bspw. Pizza und Cola im Kuehlschrank) und wer sich nach einem bestimmten Muster verhaelt, faellt eben durch das Raster durch und wird bestraft werden.
Das gesamte Konzept bricht zusammen, wenn man EINE Person betrachtet OHNE „externe“ Daten, also ohne den Vergleich mit anderen Menschen. Ein einzelner Mensch ist naemlich IMMER auffaellig. Bzw. kann das selbe Verhalten gleichzeitig als niemals auffaellig betrachtet werden, solange es nicht im Kontext betrachtet wird. Als Beispiel denke man sich jemanden, der jedes Mal ein Tischgebet fuehrt. Das finde _ich_auffaellig. Wenn das aber alle machen, so ist es das nicht mehr.
Diesen Kontext jedenfalls liefern die (vielen) Daten ueber die restliche Gesellschaft und das ueber viele Menschen ausgelegte Raster bestimmt erst, was nicht in die „Norm“ faellt.
Nun aber zur in Echtzeit (bzw. Quasi-Echtzeit) algorithmisierten Handlungen.
Bei 17:40 wird dazu ein Beispiel gegeben. Ranga Yogeshwar erzaehlt ueber eine Software, welche das Verhalten der Augen algorithmisiert – eyeTrack. Die Augen druecken oft aus, was wirklich in uns Drinnen passiert. Am Beispiel des Luegens møchte ich dies verdeutlichen. Wenn wir luegen, so gilt im Allgemeinen, dass:
– man den Blickkontakt zum Gespraechspartner meidet,
– die Augen verdreht,
– haeufiger blinzelt (und die Augen dabei laenger geschlossen laeszt)
– weniger haeufig die Augen bewegt (starrer Blick), und
– die Pupillen sich vergrøszern.
Dazu dann auch bei 19:37, dass mit einer erweiterten Version dieser Software, welche dann auch das gesamte Gesicht und die Kørpersprache umfasst, man also vermutlich bald effektiv erkennen wird kønnen, ob jemand luegt.
Dies wird dann sicherlich erstmal eine „lustige Party-App“ werden.
— Kurze Pause und ganz generell mal ueber andere solche „Apps“ nachdenken. —
Dann wird es kurz darauf ernsthafter. Denn in einer Welt, in der bspw. sog. „Services“ wie facebook so unhinterfragt beliebt sind, bzw. selbt bei kritischem Betrachten, benutzt werden, ist das Kommen einer Technologie wie der google-Brille nicht aufzuhalten! Und wir alle werden diese Technologie benutzen. Denn es machen ja auch alle anderen und irgend eine Ausrede wird sich schon finden, sich nicht dagegen straeuben zu muessen. Wieder kønnte hier facebook derzeit als aktuelles Beispiel herangezogen werden.
Und so eine Brille (oder Hut, oder Ring, oder Pullover etc. pp.) kønnte einem dann gleich erzaehlen, ob der Gespraechspartner luegt. Und das laeszt sich auch super gut verkaufen! Denn das ist doch echt toll! Wir werden sehen, ob der Haendler uns ueber den Tisch ziehen will. Was werden wir alles an Geld sparen! Dafuer kann man doch ruhig ein bisschen Privatsphaere opfern.
Aber halt. Da denkt sich jetzt bestimmt jede Leserin: „Das war ja klar, dass das kommt! Aber so doof sind wir nicht, dass Ding mit der Privatsphaere ist doch total offensichtlich.“
Also hole ich etwas aus, denn aus der „lustigen Party-App“ wird nun bitterster Ernst. Ich wage naemlich zu behaupten, dass wir durch derartige Technologie die Realisierung des kategorischen Imperativs erreichen kønnten.
DAS ist doch was Tolles mag man meinen. Denn
Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.
hørt sich doch total gut an, nicht wahr.
Allgemeine und spezielle Kritik daran wurde von viel schlaueren Menschen als ich es bin geuebt. Møge die geneigte Leserin oder der geneigte Leser dies selbst nachlesen. Ich will im Zusammenhang mit bspw. solchen Brillen nur darauf hinaus, dass „du sollst nicht luegen“ darin enthalten ist.
Und ist eine Welt, in der man nicht mehr luegen kann, weil alle es sofort merken, erstrebenswert?
Wir luegen jeden Tag und die ganze Zeit!
„Hallo Chef“ … .oO(Halt die Fresse du hast doch eh keine Ahnung)
„Ach, lass die Kinder doch toben“ … .oO(Dumme Blagen! Naja, bei DEN Eltern kein Wunder.)
„Schøn dich nach so langer Zeit mal wieder zu sehen“ … .oO(Hast ja doch ganz schøn zugelegt. Aber Sex haette ich trotzdem gerne mal mit dir.)
„Nett dich kennenzulernen“ … .oO(GEILE TITTEN! Ich wuerde echt gerne mal in deinen Geburtskanal ejakulieren.)
etc. pp.
SO wird das naturlich nicht beim Gegenueber ankommen, denn das waere Gedanken LESEN. Aber die Intention kommt an, und deswegen waehlte ich diese drastische Sprache, um der Ernsthaftigkeit dieser Møglichkeit etwas Ausdruck zu verleihen.
Ich hoffe, dass die Schockwirkung einiger dieser Woerter doch immer noch vorhanden ist.
Ich denke soetwas naemlich durchaus wirklich. Aber natuerlich sage ich das nicht. … tihi … JETZT bin ich ja auf die Reaktionen gespannt, die ich bekomme, wenn ich die Leserinnen und Leser dieses weblogs irgendwann mal wiedertreffe. Wieder gilt, dass ja gerne vom Geschriebenen auf den Schreiber geschlossen wird ;) . Nun ja, mglw. ist das meiner Sache, die Ersnthaftigkeit der Lage klar zu machen, ja sogar zuarbeitend.
Dazu zum Abschluss nur noch kurz das Folgende. Die obigen Beispiele sind auf (mehr oder weniger) fremde Menschen gemuenzt. Leute also, bei der der raeumliche und zeitliche Abstand solche Faux pas auf lange Sicht weniger schlimm macht. Denkt man das aber bei der frisch gebackenen Schwaegerin oder Schwiegertochter, oder als Lehrer bzgl. eine seiner Schuelerinnen etc. pp., so wird man diesen scharlachrote Buchstaben nie wieder los.
Ich denke meine Leserschaft bemerkt, dass ich darauf hinaus will, dass eine Verwirklichung dieses Teils des kategorischen Imperativs etwas ist, was NIEMAND auch nur im Entferntesten wirklich will!
Oder kurz und knackig: Finger weg von der Realisierung des Kantschen Imperativs! (Mal davon abgesehen, dass der kategorische Imperativ bei ihm groszer, vor allem christlich gepraegter, Moralquark ist!)
Darum muessen wir das JETZT diskutieren! Nicht, wenn es zu spaet ist und keinen mehr interessiert, oder die Kritik niemanden mehr erreicht, weil alle derartige Technologie bereits benutzen.
Ein anderes Beispiel wird bei 18:48 gegeben. Es wird dort darauf hingewiesen, dass damit (aber auch mit deutlich einfacherer Technologie) Deutschlehrer sehen kønnen, welche Passagen ein Schueler im Pflichtbuch gelesen hat und welche nicht.
Was kønnte dafuer sprechen, meinem Kind nicht die gleiche, suesze Freiheit zu gewaehren, wie ich sie so sehr genossen habe? Diese Frage kann ich fuer mich nur mit „unendliche Arroganz, denn ICH habe schlieszlich die Intelligenz und Wahrheit mit groszen Suppenkellen gefressen“ beantworten.
Deswegen werde ich diese Entwicklung nicht undiskutiert zulassen!
Und bei 20:35 wird dann ganz konkret gesagt, dass all dies eine fundamentale Aenderung unserer Gesellschaft bewirken wird. Dass die Demokratie aufhøren wird zu exisitieren. Nicht, weil irgend ein Diktator das so will, sondern, weil die Leute dies so wollen, denn diese „Apps“ und „Services“ sind doch so nuetzlich und jeder macht es.
Eine Demokratie basiert grundlegend auf freien und geheimen Wahlen. Aber nicht luegen zu kønnen ist die Antithese zu „frei und geheim“.
Und auch deswegen MUESSEN wir darueber diskutieren und ganz deutlich machen, dass uns unsere Buergerrechte wichtig sind!
JETZT!
SOFORT!
Und auch mit Mutti und den Kollegen.
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