Ueberschriften, welche mit so drastischem, religiøsem Aberglauben daherkommen, mag ich sehr.
Hier ist es sogar passend, denn es soll heute um die fantastisch interessante Substanz Disauerstoffdifluorid – O2F2 – gehen.
Dazu angeregt, mich mit diesem Stoff mal naeher zu beschaeftigen, wurde ich durch Randall Munroes exzellenten what-if Artikel zu Schnellkochtoepfen.
Dort gab es einen Link zu einem, von einem Chemiker geschriebenen, Artikel mit dem Titel: „Things I Won’t Work With: Dioxygen Difluoride“
Dort wiederum standen so neugierig machende Dinge wie
[…] violently hideous […],
[…] deeply alarming […],
[…] chemicals that I never hope to encounter […]
Grund genug also, sich mal den Originalartikel von A. G. Streng mit dem Titel „The Chemical Properties of Dioxygen Difluoride“ zu Gemuete zu fuehren.
Dieser nach Wissen strebende Forscher hat nicht nur immer wieder und wieder dieses Teufelszeug hergestellt (was an sich schon ein Prozess ist, der sich nicht so ganz ungefaehrlich anhørt), nein, er wollte auch noch wissen, was es so macht, wenn man es mit allem møglichem anderem (gefaehrlichem) Zeug in Beruehrung bringt.
Die Experimente musste er bei tiefen Temperaturen ausfuehren. So bspw. 90 K. Das sind -183 Grad Celsius! Weiter unten wir dem Leser sicherlich klar, warum er das so kalt machen musste.
Dabei sollten wir unsere eigenen chemischen Experimente (kochen, grillen, Chemiunterricht in der Schule) und technische Groszprozesse (die Herstellung von Duenger, oder der Katalysator im Auto) immer im Kopf behalten. Da passiert eigentlich NIE was, solange man das nicht ueber einen Bunsenbrenner haengt.
Die gar winzigliche Energie, welche noch bei -183 Grad Celsius vorhanden ist, reicht aber aus, um O2F2 noch gar fantastische Reaktionen zu entlocken. Von selbst, ganz ohne Starthilfe via „Feuer“.
Genug der Vorrede. Im folgenden zitiere ich aus dem oben verlinkten Artikel von A. G. Streng (Hervorhebungen sind von mir).
Und nicht vergessen: MINUS 183 Grad Celsius!
– Ethanol
It reacted instantaneously with solid ethyl alcohol, producing a blue flame and an explosion.
– Methan
When a drop of liquid O2F2 was added to liquid methane […] a white flame was produced […]
[unter anderen Bedingungen (aber immer noch 90 K!)] a violent explosion occurred.
– keine Reaktion mit CO2 (Trockeneis)
When added to Dry Ice, dioxygen difluoride did not react and was only absorbed by the solid.
– aber wehe, es wird Aceton dazu gegeben
Addition of acetone to this mixture resulted in sparking accompanied by an explosion.
– Und da das noch nicht reicht, muss natuerlich auch noch die Reaktion mit Flusssaeure (HF) untersucht werden. Wie zu erwarten:
A 2% [!!!] solution of O2F2 in HF reacted violently […]
Eine 2%-Løsung! Das ist wie wenn man ein Trinkpaeckchen verduennt mit zwei voll gefuellten Wassereimern.
– Ammoniak
Liquid dioxygen difluoride reacted vigorously when added to solid anhydrous ammonia […]
– Wasser (in Form von Eis natuerlich)
It caused explosions when added to ice […]
Was macht man, wenn man Flusssaeure schon ausprobiert hat und die Verbindung die man untersucht schon eine Fluorverbindung ist?
RICHTIG! Man schielt verstohlen zu den Chlorverbindungen.
– Chlor
A rapid addition of chlorine to dioxygen difluoride […] caused a violent explosion.
Nein, nein, warum denn langsam, wenn man es auch schnell machen kann? Die Kollegen warten sicher schon am Mittagstisch. Aber keine Sorge, denn beim zweiten Mal (!) hat er das Chlor langsamer einstrømen lassen um die Reaktionsprodukte besser untersuchen zu kønnen.
– Chlorfluorid (keine Einstufung verfuegbar!!! – Das Zeug ist von sich aus schon so reaktiv und unter widrigen Umstaenden herzustellen, dass das noch nicht mal in ausreichenden Mengen produziert wurde um es zu klassifizieren!)
The study of the reaction […] showed that if the reaction is carried out without special precautions […] the two substances react violently […]
Es waren sicherlich immer noch die wartenden Kollegen am Mittagstisch, die ihn zur besonderen Eile antrieben. Da kann man dann auch schon mal zwei Experimente gleichzeitig machen.
Mhm … Nix weiter beim Chlor. Na dann nehmen wir doch
– Brom . Der aufmerksame Leser ahnt es bereits
Liquid O2F2 […] reacted vigorously when added to solid bromine […]
Da die Reaktionen mit Bromtrifluorid (fuer das es auch noch keine Einstufung gibt) nur als
proceeded rapidly
beschrieben ist, sehe ich dies als eher uninteressant an und møchte meine Leser nicht weiter damit langweilen.
Mhm … was fuer andere, an sich schon reaktionsfreudige Substanzen enthaelt denn das Periodensystem sonst noch? Richtig!
– Phosphor
With red phosphorus, O2F2 reacted vigorously when added rapidly […]
Manchmal kann es aber auch verdammt schwierig sein, den Zufluss einer Substanz klein zu halten.
Aber nach all den vorherigen Ergebnissen ist eine nur „lebhafte Reaktion“ ja ein bisschen langweilig. Let’s spice it up a little with:
– Phosphor(III)-fluorid
[…] the reaction proceeded with flame […]
Nun ja, Teufelszeug schrieb ich ja schon. Da liegt es nahe, es auch mit Schwefel und seinen Verbindungen zu testen.
– Schwefel
When added rapidly to sulfur […] liquid O2F2 reacted instantaneously with a flash.
Der Mann muss echt unter Zeitdruck gestanden haben, musste ja immer alles „schnell, schnell“ gehen.
– Schwefeltetrafluorid
Sulfur tetrafluoride, SF4, reacted violently with concentrated O2F2 […]
Mglw. um die Reaktion etwas zu verlangsamen, wurde das SF4 verduennt (nicht mit Wasser, denn das vertraegt sich nicht so gut, wie wir oben gelernt haben).
Wenn man bedenkt, mit welchem verve so Begriffe wie „instantaneously“, „with flame“, „reacted vigorously“ oder „added rapidly“ bisher benutzt wurden, so wirkt die Beschreibung der Reaktion des verduennten SF4 møglicherweise etwas alarmierend auf den Laien:
[…] the reaction went out of control with an explosively violent evolution of gas and heat.
Aber keine Sorge: es bestand zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr fuer die Bevølkerung.
Und dieses „out of control“ spornt einen Forschergeist ja manchmal noch so extra an. Das muss ja systematisch untersucht werden. Deswegen wurden die Experimente mit dem verduennten SF4 weiter gefuehrt, selbst wenn
This reaction […] even more difficult to control [is] […].
Als Resultat konnte bestaetigt werden:
In most cases it proceeds directly […] to an explosion.
Na man gut, dass wir das bestaetigt bekommen haben. Haette ja sein kønnen, dass die erste Explosion nur ein dummer Zufall war.
Aber es gibt auch gute Nachrichten. Denn wenn man ein anderes Verduennungsmittel nimmt, so gilt
[…] explosions could be avoided in some cases […]
Nochmal Glueck gehabt!
Zur Reaktion mit Schwefelwasserstoff steht zwar nicht, wie das ausgegangen ist, aber dabei entsteht eine Waerme von 433 kcal pro mol. Eine Kalorie ist die Menge an Waerme, die man braucht um 1 kg Wasser um ein Grad Celsius zu erwaermen. Hierbei wird beinahe eine halbe Million Kalorie an Energie frei! Zu recht wird dies in dem „Things I Won’t Work With„-Artikel beschrieben als
[…] which is the kind of every-man-for-himself exotherm that you want to avoid at all cost.
Wir alle haben ja sicherlich noch die Knallgasexplosion im Chemiunterricht im Kopf. Wo ein winzig kleines bisschen Waserstoff in eine Blechdose geleitet und da dann mal ein Streichholz heran gehalten wurde. Die Dose flog mit ziemlicher Wucht zur Decke. (Jup, ich hatte ’ne coole Chemielehrerin :) ). Dort wird weniger als ein Drittel dieser Energie frei!
Dem Forscherdrang war damit aber kein Ende gesetzt, denn er untersuchte auch noch die Reaktionen mit Stoffen, die er einfach nur als
some other substances
bezeichnet. Da muss noch was uebrig gewesen sein, von dem Teufelszeug und der A. G. Streng konnte wohl nicht der Neugierde widerstehen, dass dann auch an allem auszuprobieren, was seine Kollegen so im Lab haben rumliegen lassen.
Ich denke, dass der aufmerksame Leser sich selbst ausmalen kann, wie diese Reaktionen abgelaufen sind. Stichworte sind da bspw. „reacted vigorously“ oder „exploded“.
Genug dazu.
Ich hatte grosze Freude beim Lesen des Artikels von A. G. Streng und die Leute in der Straszenbahn werden sich sicherlich gefragt haben, worueber ich mich denn so amuesiere. Auch das Schreiben dieses Artikels machte mir Spasz.
Wer ebenso Freude am Lesen des meinigen Artikels hatte, dem empfehle ich wirklich die Lektuere des „Things I don’t want to work with“ Artikels. Ich kønnt mich wegschmeiszen vor lachen, wie der Chemiker sich dort dazu ausdrueckt.
Im Ernst møchte ich aber das folgende noch dazu sagen bzw. aus dem empfohlenen Artikel zitieren:
If the paper weren’t laid out in complete grammatical sentences and published in JACS, you’d swear it was the work of a violent lunatic.
Absolute Zustimmung! ABER an dem Paper sieht man, dass tatsaechlich ordentlich und auch vernuenftig gearbeitet wurde.
Auch wenn mir bei den beschriebenen Reaktionen Bilder von in Flammen aufgehenden und explodierenden Laboren vor Augen kamen, so war es letztlich doch „halb so schlimm“. Den Sicherheitsstandards (und vermutlich der Liebe zum eigenen Leben) wegen, wurden naemlich nur kleine Mengen dieses Teufelszeugs benutzt und sicherlich auch alle anderen, nøtigen Vorsichtsmasznahmen ergriffen.
Ich wollte das ganze etwas humoristisch praesentieren. Aber der Umgang mit gefaehrlichen Stoffen, ist mitnichten witzig. Auch wenn die Chemikalien nicht mal einen Bruchteil so gefaehrlich sind, wie O2F2, so gilt dennoch, dass man vorsichtig und ordentlich zu arbeiten und auch die erforderlichen Schutzmasznahmen zu ergreifen hat. Es ist naemlich ganz und gar nicht mehr komisch, wenn einem der Erlenmeyerkolben ins Gesicht explodiert und man die Schutzbrille nicht aufgesetzt hat, weil ja all die letzten Jahren auch nie was passiert ist. Alles schon erlebt, zum Glueck nicht persønlich.
Nachtrag: ich sehe gerade, dass der Originalartikel von A. G. Streng nicht frei zugaenglich ist. Bei Interesse kann ich den natuerlich dem interessierten Leser zukommen lassen.